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Schläge und Sklavenarbeit in der Kinderheimen

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Szene aus dem Film, Ende der Flucht

Der Flucht von Paul (Leonard Carow) und Luisa (Alicia von Rittberg) wird ein jähes Ende gesetzt – Filmszene

In den 60er Jahren gab es in Westdeutschland rund 3.000 kirchliche und staatliche Erziehungsheime. Die Zahl der Kinder, die hier von 1945 bis 1975 aufwuchsen, wird auf 800.000 geschätzt. Mehr als eine Million Kinder hatten ihre Väter im Krieg verloren, unzählige Familien waren durch Flucht zerrissen. In den Heimen (zu ca. 75 Prozent konfessionell, zu ca. 25 Prozent staatlich) herrschte damals ein großer Mangel an qualifiziertem Personal; in den meisten Heimen war mehr als die Hälfte der Erzieher überhaupt nicht pädagogisch ausgebildet. Zahlreiche Kinder und Jugendliche verbrachten ihre gesamte Kindheit und Jugend in teils hermetisch abgeschlossenen Häusern, die sie nicht verlassen durften. Oft kam es zu erzwungener Produktionsarbeit für externe Firmen, Bauern oder die Kirche.

Das 2006 erschienene Sachbuch “Schläge im Namen des Herrn” des Spiegel-Autors Peter Wensierski löste eine breite politische und gesellschaftliche Debatte aus und führte zur Gründung eines Runden Tisches unter der Leitung von Antje Vollmer. Anfang 2012 erhielt Wensierski für seine Verdienste in dieser Sache das Bundesverdienstkreuz. Es war die Produzentin Doris Zander, die den bislang kaum fiktional erzählten Stoff zum ZDF brachte.

Drehbuchautorin Andrea Stoll führte Interviews und traf auf Betroffene, Opfer und Kirchenvertreter. Auf Basis des Gelesenen und Erfahrenen entwirft sie eine fiktive Geschichte, die Versatzstücke tatsächlicher Schicksale beinhaltet und auf der Folie größtmöglicher Faktentreue ein für die erzählte Zeit zutiefst wahrhaftiges Szenario beschreibt. Die bewegende Rahmenhandlung, in der die Kinder von damals als alte Menschen vor dem Runden Tisch des Bundestages aussagen, ist von erschütternder Aktualität.

Senta Berger und Matthias Habich geben in der großartigen Regie von Dror Zahavi diesen älteren Protagonisten, die sich aus Angst vor Demütigung und Schande in die Verdrängung geflüchtet haben, ihr Gesicht. Das Spiel dieser beiden großen Schauspieler holt die zurückliegenden Ereignisse schmerzvoll nah an den Zuschauer heran.

Die Heimkinder mussten bis zu 10 Stunden pro Tag arbeiten. Wenn sie „ungehorsam“ waren, ernteten sie von Nonnen, die als „Pädagogen“ eingestellt waren nur Schläge oder sie wurden hart schikaniert.

Fast 50 Jahre hat es gedauert bis sich das politische Deutschland des Themas annahm und es zu einer – auch finanziellen – Würdigung der ehemaligen Heimkinder kam. Deren Schicksale sind es wert, erzählt zu werden, denn die Verletzungen der Kindheit prägen ein ganzes

Leben und verheilen nie ganz. Jenseits jeder aktuellen Debatte kann Dror Zahavis “Und alle haben geschwiegen” zeitlos und exemplarisch von Verhältnissen erzählen, die so nie wieder eintreten dürfen.

Fernsehfilm „Und alle haben geschwiegen“
Regie Dror Zahavi
Buch Andrea Stoll
Kamera Gero Steffen
Ton Uwe Griem, Timon Krüger
Szenenbild Gabriele Wolff
Schnitt Fritz Busse
Musik Ingo Ludwig Frenzel
Produktionsleitung Rolf Wappenschmitt
Produzentin Doris Zander
Produktion Aspekt Telefilm-Produktion Berlin GmbH
Redaktion Caroline von Senden, Esther Hechenberger
Länge 89’ 22’’

Die Rollen und ihre Darsteller:
Luisa Hamilton Senta Berger
Paul Berghoff Matthias Habich
Luisa Keller Alicia von Rittberg
Paul Leonard Carow
Schwester Elisabeth Marie Anne Fliegel
Schwester Ursula Birge Schade
Jana Jasmin Schwiers
Schwester Clara Anke Sevenich
Gertrud Keller Antje Schmidt
Vors. Sozialarbeiterin Tamara Rohloff
Frau Biallas Eva Manschott
Alfons Thomas Arnold

Inhalt:
Im Mittelpunkt steht die junge Luisa, die Anfang der sechziger Jahre aufgrund der Erkrankung ihrer alleinerziehenden Mutter von den Behörden in die Obhut eines Kinderheims geschickt wird. Hier erfährt sie die ganze Härte des Systems, wird seelisch und körperlich misshandelt und dient als billige Arbeitskraft. Einziger Lichtblick ist der stille Junge Paul, mit dem sie schließlich dem Grauen entkommen will. Im Berlin des Jahres 2008 treffen Luisa und Paul nach 44 Jahren erneut aufeinander. Beide haben bisher über ihre Erlebnisse geschwiegen

und sich in die Verdrängung geflüchtet. Doch Luisa sieht den Zeitpunkt für sich gekommen, ihr Schicksal öffentlich zu machen und sich damit ihrer Vergangenheit zu stellen.

 

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