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Geschichte: In Lettland und Litauen fand keine singende Revolution statt

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Das Nachrichtenportal Delfi berichtet, dass die frühere Kulturministerin (2007-2011) und Vizepräsidentin des Parlaments (Riigikogu), Laine Randjärv, ihre Doktorarbeit an der Universität Tartu nicht verteidigen konnte, sie wurde dazu nicht zugelassen. In ihrem Dissertation bringt Randjärv (bis 2011 Laine Jänes) unter anderem vor, dass in Lettland und Litauen keine singende Revolution statt fand.

Doktorvater des wissenschaftlichen Beitrags der Reformpartei-Politikerin, der es immer wieder gelungen ist, mit unkorrekten Aussagen und Handlungen ins Fettnäpfchen zu treten, ist Professor Aadu Must (Universität Tartu).

Der Este Heinz Valk hat im Juni 1988 in seinem Zeitungsartikel die Redewendung „Singende Revolution“ benutzt. Er wollte damit die politische Stimmung der Menschenmassen zum Ausdruck bringen. Die Formulierung wurde von westlichen Journalisten übernommen und wird bis heute von den Historikern verwendet, wenn sie die Periode der nationalen Bewegungen im Baltikum 1987 bis 1991 und den Kampf um Wiedererlangung der staatlichen Unabhängigkeit charakterisieren. Damit hat die Bezeichnung „Singende Revolution“ nichts mit allgemeinen Tradition des Chor-Singens in den baltischen Länder zu tun, sondern mit der politischen Freiheitsbewegung.

 

Singend gegen sowjetische Diktatur

Während der Perestroika, 1988–1991, sangen die Balten bei nationalen Versammlungen und friedlichen Demonstrationen. Hunderttausende Menschen versammelten sich auf öffentlichen Plätzen, unter anderem in Vingio parkas und Kalnu parkas in Litauen, in Mežaparks in Lettland und auf dem Lauluväljak (Sängerfestplatz) in Estland. Auf dem friedlichen Veranstaltungen äußerten die Balten ihre Meinung über die sowjetische Okkupation und sangen dabei Volkslieder, die das Volk ideell und emotional verbündeten.

 

Baltische Kette und blutige Auseinandersetzungen

Um für die Unabhängigkeit der baltischen Staaten zu demonstrieren, bildeten am 23. August 1989, genau 50 Jahre nach dem Hitler-Stalin-Pakt, rund zwei Millionen singende Menschen den Baltischen Weg, eine Menschenkette über eine Länge von 600 Kilometern, von Tallinn über Riga nach Vilnius.

Bereits im Frühjahr 1990 proklamierten die baltischen Staaten die Wiederherstellung ihrer Unabhängigkeit (Estland: 8. Mai, Lettland: 4. Mai, Litauen: 11. März). Im Januar 1991 kam es in Litauen und Lettland zu blutigen Auseinandersetzungen zwischen Zivilisten und litauischen bzw. lettischen Kräften auf der einen und sowjetischen Einheiten auf der anderen Seite. Am sogenannten Vilniusser Blutsonntag, dem 13. Januar 1991, kamen beim Sturm auf den Fernsehturm in Vilnius insgesamt 14 unbewaffnete Zivilisten ums Leben.

Unabhängigkeitsreferendum am 9. Februar 1991 stimmten bei einer Beteiligung von 85 Prozent der Wahlberechtigten 90,5 Prozent für ein unabhängiges Litauen. Daraufhin erkannte Island als erster Staat der Welt durch einen Parlamentsbeschluss die Unabhängigkeit Litauens an. In der Folgezeit töteten Angehörige der sowjetischen Spezialeinheit OMON bei einem Überfall auf einen Grenzposten sieben litauische Grenzer. In Riga forderte der Sturm auf das Parlament am 20. Januar 1991 fünf Todesopfer durch sowjetische Militärkräfte. Esten wurden damals von Bluttaten verschont.

Erst am 21. August 1991, nach dem gescheiterten Augustputsch in Moskau gegen Michail Gorbatschow, erkannte die Sowjetunion die Unabhängigkeit der drei baltischen Staaten an.

Somit „glänzte“ die frühere Kultusministerin Laine Randjärv in ihrem Dissertation mit einer groben politischen Unkorrektheit. Sie wusste offenbar auch nichts von den kulturellen Traditionen der Sängerfeste in Lettland und Litauen, obwohl sogar die UNESCO sie in ihre Welterbeliste als „Gesangsfesttradition der baltischen Ländern“ aufgenommen hat.

Das Lettische Liederfest (lettisch: Vispārējie latviešu dziesmu un deju svētki – Allgemeines lettisches Lieder- und Tanzfest) wurde zum ersten Mal 1873 organisiert und ist ein in der Regel alle fünf Jahre wiederkehrendes kulturelles Großereignis in Lettland und Teil der lettischen Identität. Das Liederfest in Litauen (litauisch: Dainų šventė) findet seit 1924 und in Estland (estnisch: Üldlaulupidu) seit 1869 statt.

 

 

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