Tiflis (KNA) – Ein Land geht vorsichtige Schritte Richtung Europa. Am Freitag wollen Georgien und die EU ein Assoziierungsabkommen besiegeln. Trotz oder gerade wegen der Ukraine und der gespannten Beziehungen zum Nachbarn Russland: Georgiens Ministerpräsident Irakli Garibaschwili versichert, sein Land verfolge einen beständigen Kurs der europäischen Integration.
Georgien, das Land des goldenen Vlieses aus der Odyssee. Wo Prometheus an einen Felsen gekettet wurde, weil er den Menschen das Feuer gebracht hatte. Eingebettet zwischen Schwarzem Meer, dem Hohen und dem Kleinen Kaukasus liegt das Land von der Größe Bayerns zwischen Okzident und Orient, Europa und Asien.
Eine Reise nach Georgien ist auch eine Reise in den nach Armenien ältesten christlichen Staat Europas. Im Jahr 337 wurde das Christentum Staatsreligion. Wie es heimisch wurde, dafür haben die Georgier zahlreiche Mythen: “Die Legende berichtet..”, erzählt Reiseführerin Ana Furzeladse auf der Busfahrt von der Hauptstadt Tiflis in die 20 Kilometer entfernte mittelalterliche Hauptstadt Mzcheta, “dass der georgische Jude Elias bei der Kreuzigung Jesu anwesend war. Er kaufte einem Soldaten das Gewand des Erlösers ab und brachte es nach Mzcheta.”
Die Stadt mit weniger als 10.000 Einwohnern liegt strategisch günstig am Zusammenfluss der Flüsse Mtkvari und Aragwi. Wichtige Handelswege führten durch die Flusstäler, brachten Gold und Seide, Edelsteine und Gewürze. Heute werden heidnische Kultstätten und römische Tempelanlagen ausgegraben. Die erste christliche Kirche stammt aus dem vierten Jahrhundert.
“Elias Schwester Sidonia”, so erzählt die Reiseführerin weiter, “wurde mit dem Gewand Jesu beerdigt, und aus dem Grab wuchs eine riesige Zeder.” Als dann die heilige Nino, eine syrische Missionarin, im 4. Jahrhundert über dem Grab eine Kirche errichten ließ, wurde der Zedernstamm zur Stütze des Gotteshauses. Er soll eine heilende Flüssigkeit produziert haben.
Swetizchoweli, Leben spendende Säule, so heißt deshalb die im elften Jahrhundert errichtete Kathedrale von Mzcheta, das Nationalheiligtum der Georgier. Über mehrere Jahrhunderte war das aus gelbem Sandstein erbaute und über der Vorgängerkirche errichtete Gotteshaus die Krönungs- und Begräbniskirche der georgischen Monarchen. Heute ist sie der Sitz des Erzbischofs von Mzcheta und Tiflis, der zugleich der Katholikos-Patriarch von Georgien ist.
Lautsprecher übertragen mehrstimmige Gesänge nach außen. An diesem sonnigen Mittwoch ist der große Kathedralenvorplatz inmitten der fünf Meter hohen, Zinnen bewehrten Wehrmauern voller Menschen. Händler bieten nahrhafte Tschurtschchelas, glänzend braune Stangen, die aussehen wie prall gefüllte kandierte Strümpfe. Ihr Inhalt ist eine georgische Spezialität – Walnüsse, umgeben mit einer dickflüssigen Masse aus Traubensaft und Weizenmehl.
In der riesigen Kreuzkuppelkirche drängen sich die Beter. Weihrauchschwaden wabern in die hohe Apsis mit dem Fresco des thronenden Christus, Frauen verbergen ihre Haare unter Kopftüchern, schwarz gekleidete Mönche mit langen Bärten verneigen sich vor Ikonen. Die Kathedrale, die seit 1994 zum Unesco-Weltkulturerbe zählt, wurde mehrmals durch Kriege und Erdbeben zerstört, aber die Georgier bauten ihr Nationalheiligtum immer wieder auf.
Bandornamente und Skulpturen an den Außenmauern symbolisieren die Beständigkeit göttlicher Verheißung: der heilige Georg, Weinranken, Paradiesvögel und Pfauen. Ihre stilisierten Schwanzfedern stehen für die 12 Apostel oder die 13 syrischen Väter, Wandermönche, die Georgien missionierten.
Wie Swetizchoweli sind viele georgische Kirchen und Klöster mit Wehranlagen umgeben. Die fruchtbare Gegend, die alten Handelswege brachten Georgien nicht nur Reichtum und Wohlstand. Perser, Byzantiner, Araber, Mongolen, Türken und schließlich die Russen wollten das Land erobern.
Die georgisch-orthodoxe Kirche, der heute mehr als 80 Prozent der 4,5 Millionen Bürger angehören, war das Band, das die Georgier über die Jahrhunderte zusammenhielt. Eine “kämpfende Kirche”, wie sie sich selber sieht. Seit der Unabhängigkeit von Russland 1991 erlebt sie eine Renaissance. Seit über zehn Jahren wird sie auch vom Staat unterstützt. 2014 soll sie laut georgischen Medienberichten mehr als 10 Millionen Euro erhalten. Zum Islam bekennen sich rund 10 Prozent, zur armenischen und katholischen Kirche etwa 4 beziehungsweise 1 Prozent.
Doch Georgiens Regierung setzt mit Blick auf Europa auf mehr Pluralität. Bereits 2011 erhielten auch kleinere Religionsgemeinschaften durch ein unter Staatspräsident Michail Saakaschwili verabschiedetes Gesetz den Status einer juristischen Person. Seit 2014 bekommen auch nicht-orthodoxe Glaubensgemeinschaften Geld vom Staat: Muslimische und jüdische Gemeinden sowie die armenische und die katholische Kirche sollen je nach Größe insgesamt umgerechnet 1,8 Millionen Euro erhalten. Für Ministerpräsident Irakli Garibaschwili der Beweis, dass die Regierung alle Religionen gleich respektiere.
von Christoph Arens (KNA)
Foto: Kirche Swetizchoveli | Archiv
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