In ihrem fünften Kriminalroman schickt Rose Gerdts ihr Bremer Ermittlerduo Navideh Petersen und Frank Steenhoff auf eine Reise in die deutsche Vergangenheit. Es geht um Rache, Sühne und die Frage der Schuld:
Zwei alte Männer werden in Amsterdam und München ermordet in ihren Wohnungen aufgefunden, kurze Zeit später fällt ein Bremer Polizist einem Mordanschlag zum Opfer. Was zunächst nach einer Reihe von Raubüberfällen aussieht, entpuppt sich bald als geplantes Verbrechen: Die Toten gehörten vor rund 70 Jahren dem Bremer Polizeibataillon an, das während des Zweiten Weltkrieges in Litauen stationiert war, einem der Hauptschauplätze des Holocaust; rund 95% der jüdischen Bevölkerung wurde hier ermordet, prozentual gesehen mehr als in jedem anderen europäischen Land. Zunächst scheint es, als reise einer der Überlebenden von damals unter dem Namen „Vladas“ auf einem Rachefeldzug durch Europa. Die Bremer Kommissare werden gezwungen, sich mit der dunklen Vergangenheit ihrer eigenen Institution, ihren eigenen Familien auseinanderzusetzen und der Frage, wer für die Schuld ihrer Väter büßen muss.
Leider jedoch bleibt die Autorin in diesem durchaus ambitionierten und gut recherchierten Roman trotz tiefgründiger Fragen sehr an der Oberfläche. Die Figuren des Täters und Opfers wirken eindimensional und dadurch uninteressant. Aus den Tätern des Holocaust wurden in dieser Geschichte nach dem Krieg gewissenlose Großunternehmer, kaltherzige Polizeibeamte, lieblose Eltern, um deren Tod so richtig niemand trauert: zu viel Schwarzweißmalerei, zu wenig Grautöne. Die schon auf dem Buchrücken groß gestellte Frage der Schuld wird in diesem Roman nicht wirklich gestellt, denn Schuld und Unschuld werden zu klar verteilt – spätestens zu dem Zeitpunkt, als sich herausstellt, dass der frühere Mörder erneut zum Mörder wurde und gnadenlos seine einstigen Kameraden umbringen lässt. Es scheint, als verweigere sich die Autorin der Tatsache, dass die Täter des Nationalsozialismus eben keine durchweg grausamen Bestien waren, sondern auch – oder sogar vor allem – Familienväter, Sportvereinsmitglieder, Helfer der Freiwilligen Feuerwehr. Gerdts schneidet diesen Konflikt kurz an, als der Protagonist Frank Steenhoff für einige Zeit glauben muss, sein geliebter Onkel Willi, Held aus Kindertagen, wäre Aufseher eines niederländischen Konzentrationslagers gewesen. Doch ehe es zu einer Auseinandersetzung mit diesem heiklen Thema kommt, zu der Konfrontation, was es bedeutet, einen Menschen zu lieben, der massenhaft gemordet hat, stellt sich alles als Missverständnis heraus. Aus dem SS-Offizier wird wieder der nette Onkel, die Guten bleiben gut, die Bösen böse.
Die Geschichte bleibt bis zum Ende zu konventionell, um interessant zu sein und zu wenig differenziert, um neue Sichtweisen zu eröffnen. Als Kriminalfall sicherlich unterhaltsam zu lesen und mit einigen unvorhersehbaren Wendungen auch durchaus spannend, scheitert der Roman an seinem eigenen historisch-politischen Anspruch.
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