Der Europäische Gerichtshof hat am Dienstag die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung gekippt. Nach Ansicht der Richter stellt diese einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Privatsphäre dar. In einer Demokratie darf das alltägliche Leben der Bürger den Staat nichts angehen, finden auch einige Kommentatoren. Andere halten das Datensammeln durch Unternehmen für viel bedrohlicher
Bedrohliche Kontrolle gestoppt
Endlich wurde der massive Eingriff in die Privatsphäre gestoppt, lobt die konservative Tageszeitung De Telegraaf (Niederlande) das Urteil des Europäischen Gerichtshofs gegen die Vorratsdatenspeicherung:
Die Speicherung der Metadaten ist nicht so unschuldig, wie die Regierungen, auch die niederländische, seit Jahren behaupten. Es geht um Daten, die sehr genaue Einblicke in das Privatleben der Menschen geben können. Die Speicherung von Daten führt zu einer Gesellschaft, in der Menschen ständig das Gefühl haben, kontrolliert zu werden. In einer Demokratie darf das alltägliche Leben der Bürger den Staat nichts angehen. Doch das änderte sich schleichend und ein bösartiger Leitspruch setzte sich durch: ‘Wer nichts zu verbergen hat, muss auch nichts befürchten.’ Der Kampf gegen Kriminalität und Terror rechtfertigte nicht den ungeheuren Eingriff in die Privatsphäre von so vielen unschuldigen Bürgern.
Schweden war fürs Klagen zu feige
Schweden hat einst unter sozialdemokratischer Führung federführend an der Initiative zur Datenspeicherung mitgewirkt, doch die Richtlinie selbst wurde in dem Land letztlich erst deutlich verspätet im Jahr 2012 umgesetzt.
Anstatt hier zu zögern, hätte man gegen die Direktive klagen sollen, doch das hat die Regierung aus Imagegründen vermieden, vermutet die liberale Tageszeitung Dagens Nyheter (Schweden):
Wenn sich die [jetzige bürgerliche] Regierung – offenbar aus gutem Grund – der Datenspeicherung widersetzte, warum hat Schweden dann vom EU-Gericht keine Prüfung der Direktive gefordert? Gewiss spielte hier politische Rücksichtnahme eine Rolle: Wie hätte es ausgesehen, wenn Schweden, als treibende Kraft beim Zustandekommen, später eine Prüfung gefordert hätte? Nun, es hätte zumindest nicht schlecht ausgesehen. Schweden hätte gezeigt, dass man in der Lage ist, Sachfragen über Prestigefragen zu stellen.
Datenkraken sind viel gefährlicher
Um die Speicherung von Verbindungsdaten kommt man nicht herum, will man diese im Verdachtsfall zur Verfügung haben, betont die konservative Frankfurter Allgemeine Zeitung:
Der Kern der Vorratsdatenspeicherung ist das meist ohnehin vorgenommene automatisierte Vorhalten nichtpersonenbezogener Verbindungsdaten durch private Unternehmen. Der Staat verpflichtet sie, diese Daten eine Zeitlang aufzubewahren.
… Der gutgemeinte ‘liberale’ Vorschlag, nur die Daten Verdächtiger einzufrieren …, ist untauglich. Denn auch dazu müssen Daten erst einmal gespeichert werden. Sollen aber allen Ernstes Telekommunikationsunternehmen es in der Hand haben, inwieweit Verbrechen verfolgt oder verhindert werden können? Das ‘diffus bedrohliche Gefühl des Beobachtetseins’… könnte dann einer sehr realen Bedrohung weichen. Der (vorläufige?) Luxemburger Schlusspunkt sollte endlich die Sinne für die wahre Bedrohung der individuellen Freiheit wie der staatlichen Souveränität schärfen – das sind die weltweiten Datensammelkraken, die weder in deutschen noch in europäischen Diensten stehen.
Österreichs Querulanz war wichtig
Die Richter in Luxemburg haben mit Maß und Ziel entschieden und das ist auch dem Umgang Österreichs mit der Richtlinie zu verdanken, lobt die liberalkonservative Tageszeitung Die Presse:
[D]ie Bedrohung, die das Durchleuchten ausnahmslos aller rechtfertigte, gibt es nicht. Diese Erkenntnis ist unter anderem das Verdienst der österreichischen Umsetzung der Richtlinie, die als einzige eine detaillierte Auswertung der Nutzung von Vorratsdaten vorsieht. Dank ihrer wissen auch die EU-Richter, dass von 438 Anfragen innerhalb eines Jahres eine einzige den Verdacht auf eine ‘terroristische Vereinigung’ als Hintergrund hatte…
Die Auswertung von Verbindungsdaten bleibt ein notwendiges Mittel zur Strafverfolgung. Die EU und ihre Mitgliedsländer werden Lösungen finden, wie dies – bei gleichzeitig schonendem Umgang mit den Grundrechten – möglich ist.
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