Presseschau

Flüchtlingsdrama vor Lampedusa

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Mehr als 130 Flüchtlinge sind am Donnerstagmorgen vor der italienischen Insel Lampedusa ums Leben gekommen, nachdem ihr Schiff in Brand geraten und gekentert war. Rund 200 Menschen werden noch vermisst. Kommentatoren sehen in der Katastrophe ein Symbol für die rücksichtslose Abschottungspolitik der EU und fordern eine menschlichere und solidarischere Asylgesetzgebung

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Asylpolitik scheitert im Mittelmeer

Europa ist mitschuldig an der Flüchtlingskatastrophe vor der italienischen Insel Lampedusa, meint die staatliche liberale Wiener Zeitung (Österreich):

Ausgeliefert sind diese Flüchtlinge oft skrupellosen Schleppern, die sie auf seeuntaugliche Boote setzen. Aber es muss sich auch Europa fragen lassen, ob es die richtige Antwort auf die Flüchtlingsbewegungen aus Afrika gefunden hat. Denn Europa schottet sich immer mehr ab, macht seine Grenzen dicht. Freilich hat Europa das Recht, seine Einwanderungspolitik selbst zu bestimmen und Asyl nur jenen zu gewähren, die tatsächlich Anspruch darauf haben. Nur: Die derzeitige Politik läuft darauf hinaus, dass man versucht, es Flüchtlingen möglichst schwer zu machen, überhaupt nach Europa zu gelangen und hier ihren Asylantrag zu stellen. Die Tragödie vor Lampedusa hat aber erneut bewiesen, wie wirkungslos diese Politik ist und welch fatale Konsequenzen sie mit sich bringt. Denn für wen eine Fahrt auf einem Holzboot nach Lampedusa die letzte Perspektive ist, der wird sie unternehmen – so gefährlich sie auch sein mag. Abgeschottete Grenzen retten keine Menschenleben.

 

Flüchtlingsleid geht alle EU-Staaten an

Die Flüchtlingskatastrophe muss Europa Solidarität lehren, fordert die liberale Wirtschaftszeitung Il Sole 24 Ore (Italien):

Vielleicht wird die hohe Opferzahl alle – vor allem unsere europäischen Partner – davon überzeugen, dass die Tragödie der Menschen, die aus den Kriegsgebieten vor ethischen Säuberungen oder ‘nur’ vor endlosem Elend fliehen, ein Problem ist, das nicht nur jenes Land betreffen darf, in dessen Gewässern oder an dessen Küsten der letzte tragische Akt geschieht. Die Geografie des Todes ist global.

… Es gibt keine wundersamen Lösungen für ein solches Drama. Doch man kann zumindest etwas daraus lernen. Europa muss begreifen, dass die Zugehörigkeit zu einem gemeinsamen Haus Europa nicht nur ein nützliches Konzept ist, um Griechen, Spanier und Italiener zu tadeln, wenn sie ihren Haushalt nicht in Ordnung halten. Zu einem Gemeinschaftskonzept zählt auch die Solidarität der EU-Länder untereinander: Eine Solidarität, die vor allem gegenüber Menschen erforderlich ist, die einem Elend zu entgehen versuchen, das sich der Vorstellung der meisten von uns entzieht.

 

An Grenzen dürfen keine Menschen sterben

Die EU muss dringend ihre Flüchtlingspolitik ändern, um Katastrophen wie die vor Lampedusa zu verhindern, fordert die linksliberale Boulevardzeitung Aftonbladet (Schweden):

Europa hat schon lange seine Grenzen für Flüchtlinge geschlossen. Es gibt fast keinen legalen Weg mehr, nach Europa zu gelangen. Die Menschen sind deshalb gezwungen, auf gefährlichen Wegen und in Booten, die nicht einmal mit normaler Last seetüchtig wären, zu fliehen. Die EU-Grenzpolitik trägt die Schuld für die Tragödie, die wir jetzt erleben. Mit jedem Tag, der ohne Änderung der EU-Politik vergeht, erhöht sich das Risiko, dass sich eine solche Tragödie wiederholt. Tausende sind bereits umgekommen, wie viele mehr sollen es noch werden? Wir haben die moralische Verpflichtung, Menschen zu helfen, die vor Krieg, Armut und Verfolgung fliehen. Die EU muss mehr legale Wege nach Europa öffnen. Die Grenzpolitik muss reformiert und menschlicher werden. Heute sterben Menschen an den Grenzen Europas. Das darf nicht mehr geschehen.

 

Eine Schande für das reiche Europa

Papst Franziskus hat die Flüchtlingstragödie vor Lampedusa als “Schande” bezeichnet. Das linksliberale Nachrichtenportal Polityka Online (Polen) pflichtet ihm bei und kritisiert die Abgrenzungspolitik Europas:

Der Untergang des Flüchtlingsboots vor Lampedusa ist wirklich eine Schande für das reiche und satte Europa. Auf dem Unglücksschiff haben sich wahrscheinlich 500 hoffnungslose Menschen aus Eritrea oder Somalia befunden. Bei der Tragödie spielt keine Rolle, dass die Schiffbrüchigen das Feuer offenbar selbst entfacht haben. Viel wichtiger ist, dass Europa genauso wenig wie Australien oder die USA mit den Flüchtlingen fertig wird, die über das Meer kommen und darin verschwinden. Wir halten sie für eine Plage, die Probleme bereitet, und versuchen sie abzuhalten. Beispielsweise indem wir Mauern errichten.

… Dabei könnte Europa doch ohne Probleme Länder wie Somalia und Eritrea politisch und finanziell unterstützen.

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