Geschichte

Freier Durchgang für sechs Stunden – Vor 25 Jahren veränderte ein Picknick an der Grenze Europa

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Der Durchbruch

Der Durchbruch | Foto: Wikipedia

München (KNA) Sommer 1989. Im Grenzgebiet zwischen Ungarn und dem österreichischen Burgenland finden sich am 19. August Menschen auf beiden Seiten zu einem Paneuropäischen Picknick ein. Bei Gulasch und über dem Feuer gebratenen Speck lassen es sich die Leute gutgehen. Das Besondere an dieser Völker verbindenden Veranstaltung zwischen Sopron und Sankt Margarethen aber war, dass sich für sechs Stunden ein sonst verschlossenes Tor öffnete. Ohne Probleme konnten die Beteiligten für kurze Zeit durch den Eisernen Vorhang schlüpfen. 661 DDR-Bürgern gelang so die Flucht in den Westen. Ein Ereignis, das Europa verändern sollte.

Was sich wie ein romantisches Happening anhört, war eigentlich ein großes Wagnis. Die Politik hatte zwar zugestimmt, auch die Grenzsoldaten machten mit, doch: “Das Ganze war brandgefährlich und fand auch noch bei großer Hitze statt”, erinnert sich der heutige Präsident der Paneuropa-Union Deutschland, Bernd Posselt. Groß sei die Angst gewesen. Natürlich hätten sich die Ungarn reformfreudig gezeigt, niemand habe jedoch gewusst, wie die Reaktion der Sowjetunion aussehen würde.

“Die Idee zu dem Picknick stammt übrigens von 1988”, erzählt der CSU-Europapolitiker. Damals war es Posselt als Mitarbeiter von Otto von Habsburg nach längerem Ringen gelungen, für den Sohn des letzten österreichischen Kaisers und ungarischen Königs die erste Einreise seit Ende des Ersten Weltkriegs nach Ungarn genehmigt zu bekommen. In dieser Phase planten das Ostungarische Demokratische Forum und die Paneuropa-Union auch eine Protestkundgebung an der Grenze zu Rumänien. Ihnen missfiel, dass der rumänische Diktator Nicolae Ceausescu die Grenzzäune noch höher ziehen wollte, während sich Ungarn zunehmend liberalisierte.

Im Lauf der Zeit verlagerte sich das Vorhaben nach Westungarn und damit hin zur österreichischen Grenze. Zu Beginn des Jahres 1989 hatte die ungarische Regierung entschieden – und dies auch Moskau wissen lassen -, die Grenzen zum Nachbarland abbauen zu wollen. Die Außenminister beider Staaten, Gyula Horn und Alois Mock, schnitten daraufhin am 27. Juni symbolisch ein Loch in den Zaun. Aber noch war der Schießbefehl nicht aufgehoben. Immer mehr DDR-Bürger reisten trotzdem im Sommer nach Ungarn, in der Hoffnung, von dort in die Freiheit fliehen zu können. So entstanden bei Budapest riesige Zeltlager.

Die katholische und die evangelische Kirche hätten damals viel für die demokratischen Bewegungen getan, wie Posselt betont. Außerdem kümmerten sich Malteser und Johanniter um die Flüchtlinge in den provisorischen Quartieren. Mit Plakaten, Handzetteln und Mundpropaganda wurden speziell auch die DDR-Bürger zu dem Picknick eingeladen. Posselt organisierte alles im Hintergrund mit. Eine ungarische Hotelrezeption diente ihm im Zeitalter ohne Fax, Handy und E-Mail als Büro. Doch es reichte aus, um selbst noch 20 Flaggen der Paneuropa-Union aus München zu ordern. “Die wehten bei dem Picknick auf den Wachtürmen.”

Und dann war es endlich soweit. Die Menschen strömten zu der Veranstaltung, und auch die DDR-Bürger rückten mit ihren Trabbis an. Walburga von Habsburg sprach auf Ungarisch im Namen ihres Vaters Otto ein Grußwort, der zwar die Schirmherrschaft mit übernommen hatte, aber bewusst nicht gekommen war, um eine Provokation zu vermeiden. Als sich das Holztor öffnete, ergriffen die DDR-Bürger ihre Chance. Nur was sie am Leib hatten und tragen konnten, nahmen sie mit und gingen zu Fuß gen Österreich. Mancher hatte später das Glück, noch sein Auto und andere Sachen nachholen zu können.

Posselt verbrachte den Tag dagegen im südungarischen Mecseknadasd. Dort hatte er zugesagt, zum Tag des heiligen Stephan von Ungarn eine Festrede zu halten. Doch mit seinen Gedanken sei er beim Picknick gewesen. “Hoffentlich passiert nichts, dachte ich immer”, so der Paneuropa-Mann. Als während seiner Ansprache endlich ein guter Bekannter vom Ort des Geschehens eintraf und ihm deutlich zunickte, “da war mir klar, das alles gut gegangen ist”.

Von Barbara Just
baj/chw/cas

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