Kaunas
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Für weltweite Schlagzeilen sorgt der anhaltende Fachkräftemangel im Bereich Elektronik. Einige Länder und Regionen scheinen jedoch besser vorbereitet zu sein auf die Anforderungen der Industrie 4.0 und den globalen Bedarf an Halbleitern, Sensoren, Steuerungen und anderen elektronischen Komponenten.

Die litauische Großstadt Kaunas könnte eine dieser besser gerüsteten Städte sein, in der bald eine attraktive Freie Wirtschaftszone (FEZ) durch neue schlüsselfertige Lösungen ergänzt wird. Zudem haben sich fast ein Drittel der hiesigen Studierenden für MINT-Fächer entschieden. Doch reichen die Maßnahmen aus, damit Kaunas in der sich schnell verändernden Welt wettbewerbsfähig bleibt?

Gütesiegel: Accel, Kitron, HELLA & Continental

Kaunas war schon vor der Wiedererlangung der Unabhängigkeit Litauens für ein starkes Ingenieurwesen bekannt und entwickelte ein technisches Potenzial, das frühzeitig von großen internationalen Investoren erkannt wurde.

Etwa das heute unter dem Namen Littelfuse LT tätige Unternehmen – früher eine Produktionsstätte des schwedischen Konzerns Accel und heute ein Hersteller progressiver elektromechanischer Komponente.

Littelfuse LT
Littelfuse LT

Accel und dessen litauisches Werk in Kaunas entwickelten Produkte, die auf dem Markt für Sensoren im Verkehrssektor erfolgreich vertrieben wurden. Seit der Übernahme von Accel durch Littelfuse im Jahr 2012 ist das Werk um das Doppelte gewachsen – auf fast 700 Mitarbeiter – und erfüllt nun eine Funktion, die das Unternehmen weltweit unterstützt.

Neben der Herstellung fortschrittlicher Kfz-Sensoren ist Littelfuse LT intensiv in Forschung und Entwicklung (R&D) involviert. Das dazugehörige und in Kaunas ansässige Business Services Center des Unternehmens bietet zudem Personal- und Marketingdienstleistungen an.

„Nächstes Jahr jährt sich der Markteintritt von Littelfuse in Litauen zum zehnten Mal. Obwohl das Land damals weithin als ‚kostengünstiger Produktionsstandort‘ galt, waren erschwingliche Betriebskosten zwar wichtig, aber nicht der Hauptfaktor, der den entscheidenden Ausschlag gab“,

sagt Aidas Kučys, Geschäftsführer und Werksleiter von Littelfuse LT.

„Damals traf Littelfuse die strategische Entscheidung, in das Segment der Automobilsensoren zu expandieren. Dadurch wollte man aber nicht nur die Produktionsinfrastruktur, sondern auch das technische Know-how erwerben. Bis heute unterhält Littelfuse eine starke Forschungs- und Entwicklungsabteilung in Kaunas, was zeigt, dass die hiesige Ingenieurstradition eine solide Reputation beibehalten hat und noch immer einen bedeutenden Teil unserer weltwirtschaftlichen Planungsaktivitäten im Bereich der Automobilsensoren vorantreibt.“

Zu den ersten Investoren gehört auch das EMS-Unternehmen Kitron – ein führender skandinavischer Fertigungsdienstleister der Elektronikindustrie (Electronics Manufacturing Service). Kitron stellt seit mehr als 15 Jahren hochkomplexe elektronische Produkte in Kaunas her, wobei mehr als ein Drittel der 1800 Mitarbeiter in Kaunas beschäftigt sind. Das litauische Kitron-Team ist für die Herstellung von Prototypen, die Entwicklung von Bauteilen sowie für die Überwachung des Produktdesigns zuständig. Parallel dazu werden wertschöpfende Tätigkeiten wie Kundenservice, das Management von Lieferketten und andere unterstützende Funktionen vor Ort in Kaunas ausgeführt.

HELLA

Während Kitron und Littelfuse den Grundstein legten, hat die jüngste Welle neuer Investitionen die Position von Kaunas als wichtiges Zentrum der Automobilelektronik deutlich gestärkt. Der führende Automobilzulieferer für Beleuchtungssysteme und Elektronik HELLA entschied sich 2018 für ein neues Werk in der Freien Wirtschaftszone (FEZ) Kaunas und nahm in weniger als einem Jahr nach dem ersten Spatenstich eine Produktionsfläche von rund 11.000 Quadratmeter in Betrieb. Zudem kündigte HELLA erst kürzlich an, die Größe der Anlagen zu verdoppeln. Nach dieser Erweiterung wird die Gesamtfläche etwa 22.000 Quadratmeter betragen, wovon 1.000 Quadratmeter als Laborfläche vorgesehen sind.

„HELLA entschied sich für ein neues Werk in Litauen und insbesondere Kaunas, aufgrund zahlreicher Gründe. Allen voran die gut entwickelte Infrastruktur für die Logistik, der günstigen Lage für einen einfachen Zugang zu anderen Märkten, der hohen Qualität der Ingenieurausbildung und der englischen Sprachkenntnisse. Das sind aber nur einige Argumente, warum Kaunas für Investoren so attraktiv ist“,

meint Tobias Pohlschmidt, Geschäftsführer von HELLA Litauen.

Continental, ein weiterer bekannter Name der Automobilindustrie, eröffnete 2019 ebenfalls eine Produktionsstätte in der FEZ Kaunas. Continental wird in den litauischen Werken komplexe Komponente wie intelligente Glassteuerungen und Radarsensoren herstellen und beabsichtigt, bis 2025 etwa 1500 neue Mitarbeiter einzustellen.

Während viele ausländische Unternehmen in Kaunas Produkte für den Automobilsektor entwickeln, konzentrieren sich die lokalen Unternehmen auf Produkte für die Informations- und Kommunikationstechnologie. Alteingesessene Unternehmen wie Terra und Selteka, die zusammen rund 500 Fachleute beschäftigen, bieten EMS- und OEM-Dienstleistungen für Kunden aus dem Telekommunikationsbereich an. Die neue Generation aus ehrgeizigen und rasant wachsenden lokalen Unternehmen stützt ihr Wachstum jedoch auf die Entwicklung eigener, einmaliger Produkte. Zu diesen Unternehmen gehören beispielsweise Teltonika Networks – ein Hersteller von Geräten für industrielle Netzwerkverbindungen sowie Axioma Metering – ein Anbieter für Ultraschallmessgeräte.

Talente – Lebenselixier für technische Innovationen

Gemessen an der Zahl der Studierenden in den Bereichen Elektronik und Automatisierung pro Kopf, steht Litauen an vierter Stelle unter den EU-Mitgliedstaaten. Und während das Land zu den europäischen Spitzenreitern in Sachen technische Talente gehört, ist Kaunas der Ort, an dem sich die litauischen Elektrospezialisten am stärksten konzentrieren. Von den fast 45.000 Studierenden in Kaunas belegen 31 Prozent technische Studiengänge. Vier Hochschuleinrichtungen der Stadt bieten Ingenieurstudiengänge an, und nicht weniger als 5.000 Studierende haben sich für Ingenieurwissenschaften entschieden.

Die Technische Universität Kaunas (KTU) ist als größte technische Universität im Baltikum gleichzeitig der größte Lieferant von qualifizierten Ingenieuren. Durch die enge Verbindung zur Wirtschaft und ihrer langjährigen Erfahrung, betreuen die Fachkräfte der KTU auch die größten Unternehmen der Region. Zudem ist die Universität nicht nur ein wichtiger Akteur bei der Bereitstellung von Talenten, sondern auch von Infrastruktur und qualifizierten Wissenschaftlern für die Zusammenarbeit im Bereich von Forschung und Entwicklung.

Darüber hinaus investieren die Universitäten in Kaunas kontinuierlich in neue Einrichtungen und Forschungsräume. An der Fachhochschule für angewandte Ingenieurwissenschaften (KTK) wurde erst kürzlich ein modernes Elektroniklabor eingerichtet, während die KTU ein sogenanntes M-Lab baut – ein interdisziplinäres Prototyping-Labor, das im Jahr 2022 eröffnet werden soll. Das Projekt zielt darauf ab, eine stärkere Verknüpfung zwischen Wissenschaft und Wirtschaft zu schaffen und den Forschungsbedarf ausländischer und litauischer Unternehmen zu decken.

Hochwertige Infrastruktur & steuerliche Anreize locken ausländische Unternehmen nach Kaunas

Litauen investiert zudem stark in einen erfolgreichen Ausbau der Industriezweige Innovation sowie Forschung und Entwicklung, wobei kontinuierliche Anstrengungen in die Entwicklung einer passenden Infrastruktur und die Wissenschaftstäler des Landes fließen. Das derzeit größte Projekt befindet sich jedoch in Kaunas. Mehr als 5 Millionen Euro wurden investiert, um eine ehemalige Flugzeugfabrik in den modernsten Innovationspark des Baltikums zu verwandeln. Der Standort mit dem Namen „Aleksotas Industry Innovation Park“ wird derzeit auf einem 32 Hektar großen Gelände in unmittelbarer Nähe des Stadtzentrums erbaut. Das neue Innovationszentrum, das bereits als „Silicon Valley Litauens“ bezeichnet wird, soll neuen Elektronikunternehmen hochmoderne, schlüsselfertige Einrichtungen für Forschungs- und Entwicklungstätigkeit zur Verfügung stellen.

„Investitionen in Schlüsselbereiche der litauischen Wirtschaft, wie z. B. die Elektronikfertigung haben in Litauen oberste Priorität“,

sagt Tadas Stankevičius, Leiter von Kaunas IN, der städtischen Agentur für Wirtschafts- und Tourismusförderung.

„Das spiegelt sich auch in einer neuen gesetzlichen Regelung wider, die 2021 in Kraft tritt und profitable Investitionsbedingungen für Großprojekte schafft. Um Investoren bei der reibungslosen Abwicklung ihres Geschäftsbetriebs und ihrer Wertschöpfung zu unterstützen, hat die litauische Regierung ein neues Gesetzespaket verabschiedet – den sogenannten ‚grünen Korridor‘, der Unternehmen steuerliche Anreize und schnellere bürokratische Verfahren bieten soll.“

Für große Investitionsprojekte mit einer Summe von mindestens 20 Millionen Euro und bei gleichzeitiger Schaffung von mindestens 150 neuen Vollzeitarbeitsplätzen im verarbeitenden Gewerbe, gilt ein Körperschaftssteuersatz von 0 Prozent für einen Zeitraum von bis zu 20 Jahren. Das Angebot des grünen Korridors umfasst darunter auch eine staatliche Unterstützung für die Raumplanung, schnellere Entscheidungsfindung, vereinfachte Verfahren und einen generellen Abbau von Bürokratie.

Für kleinere Investitionen bietet die FEZ Kaunas unschlagbare Bedingungen für den Ausbau von Geschäftstätigkeiten, da baureife Industrieflächen mit physischer und/oder rechtlicher Infrastruktur, unterstützende Dienstleistungen und steuerliche Anreizen vorhanden sind. Die FEZ dient auch als Logistikzentrum, aufgrund der günstigen Lage an einem Verkehrsknotenpunkt zweier Straßen von nationaler und internationaler Bedeutung sowie einer kurzen Anbindung an den Internationalen Flughafen Kaunas.

Neben einer ausgezeichneten Infrastruktur kommen Unternehmen, die in der FEZ Kaunas investieren, in den Genuss von Steuervergünstigungen: Sie sind bis 2045 von der Grundsteuer befreit, haben auch die Möglichkeit, in den ersten zehn Jahren von der Körperschaftssteuer befreit zu werden und zahlen in den nächsten sechs Jahren nur die Hälfte der Einkommensteuer. Derzeit sind 41 ausländische und litauische Kapitalgesellschaften in der Industriezone tätig, wodurch bereits mehr als 5700 Arbeitsplätze geschaffen und 0,97 Prozent des gesamten litauischen Inlandsprodukts erwirtschaftet wurden. An Direktinvestition hat die FEZ Kaunas seit der Gründung des ersten Investors im Jahr 2005 insgesamt 860 Millionen Euro angezogen.

von Oleg Volkov | First Impression Consulting

Die Baltische Rundschau | Online-Redaktion
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