Seit dem 19. Jahrhundert gelten die Dietfurter als die “Chinesen Bayerns”. Am kommenden Donnerstag (4.2.) erleben die Besucher der Oberpfa?lzer Stadt, warum das so ist. Ein Brennstoffhändler ist neuer Kaiser und besteigt in diesem Jahr erstmals den Thron.
Dietfurt (obx) – 364 Tage im Jahr regiert in der 6.000-Einwohner-Stadt Dietfurt – rund 50 Kilometer westlich von Regensburg – die Beschaulichkeit. Dann erfreuen sich die Touristen am siebenstimmigen Glockengeläut der Stadtpfarrkirche St. Ägidius, bestaunen die barocke Wallfahrtskirche und das Franziskanerkloster. Einmal im Jahr jedoch – stets von langer Hand geplant – versetzt eine “Revolution” das oberpfälzische Kleinod in Ausnahmezustand: Dann wird aus dem Erholungsort im Altmühltal für einen Tag ein Teil des mehr als zehn Flugstunden entfernten Reichs der Mitte. Immer am letzten Donnerstag in der Faschingszeit verwandelt sich die Stadt in “Bayerns Chinatown”. Tausende Besucher aus ganz Deutschland werden sich auch in diesem Jahr am 4. Februar die chinesische Invasion ins bayerische Kernland nicht entgehen lassen. Das Jahr 2016 wird als Zeitenwende in die Geschichte des “Chinesenfaschings” eingehen: Nach dem Ende der 15-jährigen Regentschaft seines Vorgängers Ko-Houang-Di wird der neue Kaiser Fu-Gao-Di erstmals den Thron besteigen.
Vom Rathaussessel bis zur Müllabfuhr, vom Restaurant bis zum Supermarkt – alles ist fest in chinesischer Hand. Dietfurts Bürger, ob groß, ob klein, schlüpfen in chinesische Tracht, stecken sich China-Zöpfe ins Haar und die Drogerie mit der gelben Hautschminke hat Hochkonjunktur.
Ein Kuriosum in Bayern – der Chinesenfasching in Dietfurt. Eine Anekdote erzählt den Ursprung des verrückten Treibens, das den Dietfurtern den Titel “Bayerische Chinesen” einbrachte. Demnach soll irgendwann in der Stadtgeschichte der Steuereintreiber des Bischofs in das Städtchen gereist sein, um höhere Abgaben einzutreiben. Die Nachricht vom Besuch gelangte aber vor dem Steuereintreiber in die Stadt. Die Bürger verbarrikadierten die Tore und der Gesandte des Bischofs musste ohne Geld abziehen. Seinem Bischof erzählte er dann: Die verstecken sich hinter ihrer Mauer wie die Chinesen.
Ob die Erzählung stimmt, weiß auch in Dietfurt keiner so genau. Verbürgt ist aber ein Kalender von 1860 und eine wissenschaftliche Arbeit aus dem Jahr 1869, wo bereits damals die Dietfurter als Chinesen bezeichnet wurden und von einem Chinesen-Viertel die Rede ist. Der Grundstein für die Faschingstradition wurde aber erst 1928 gelegt, als die Stadtkapelle erstmals in China-Gewändern auftrat.
Schnell hat der Ruf vom Chinesenfasching weite Kreise gezogen – quer durch Bayern und ganz Deutschland. “Diplomatische Abordnungen” von Faschingshochburgen aus der ganzen Republik werden an der Proklamation des Kaisers Fu-Gao-Di teilnehmen und anschließend begleitet vom vielstimmigen “Kiliwau” in den Straßen der Stadt feiern.
Nichts bewegte den Ort seit der letzten Faschingssession mehr als die Frage: Wer wird heuer den “chinesischen Thron” in Dietfurt besteigen? Kaiser Ko-Houang-Di, der im richtigen Leben Fritz Koller heißt, hatte angekündigt, nach 15 Jahren Regentschaft sein Zepter niederzulegen. Der Stadtrat beauftragte den dritten Bürgermeister der Gemeinde, Bürgermeister Bernd Mayr, hochoffiziell mit der Suche eines Nachfolgers. Im November zeigte sich der neue Regent erstmals seinem Volk: Es ist der Bruder des bisherigen “Herrschers” Manfred Koller. Er ist 47 Jahre alt und im echten Leben Brennstoffhändler. Von dessen Qualitäten ist der Bürgermeister überzeugt:
“Manfred Koller ist der beste Kaiser, den wir uns vorstellen können”, sagte Mayr bei der offiziellen Vorstellung. Der Name des Regenten heißt übersetzt so viel wie “glücksbringender großer Kaiser”.
Die gemeinsame Reise der Dietfurter ins ferne China beginnt am “Unsinnigen Donnerstag” sehr früh: Bereits in den Morgenstunden zieht eine 30-köpfige Meute mit viel “Lärm und Geschepper” kreuz und quer durch die Stadt. Auf ihrem Zug verkünden sie mit einem schallenden Weckruf den Beginn des “chinesischen Nationalfeiertags” in der oberpfälzischen Kleinstadt.
Mit etwa 15.000 Menschen rechnen die Organisatoren, wenn ab 13 Uhr auf der Bühne direkt auf dem Stadtplatz Akteure und Besucher dem Höhepunkt entgegen fiebern: dem legendären chinesischen Maskenzug, bei dem in diesem Jahr pünktlich um 13.61 Uhr (also 14.01 Uhr) etwa 50 Gruppen und viele leibhaftige Chinesen bei der Kaiserkrönung Fu-Gao-Dis für kurze Zeit “Chinatown” im Herzen Bayerns aufleben lassen.
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