Estlands Finanzminister über Kohäsionspolitik und Prioritäten des Landes
Sven Sester
EstlandInterview

Estlands Finanzminister über Kohäsionspolitik und Prioritäten des Landes

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Estland: Konzentration auf Wettbewerbsfähigkeit und Wachstum

Im Zeitraum 2007-2013 war Estland im Hinblick auf die Inanspruchnahme von EU-Mitteln eines der am höchsten bewerteten Länder. Panorama Magazine spricht mit Finanzminister Sven Sester darüber, wie Estland von der Kohäsionspolitik profitiert hat und wie die Prioritäten des Landes für den neuen Programmplanungszeitraum aussehen.


 

▶ Was sind die wichtigsten Erfolge der Kohäsionspolitik in Estland neben dem exzellenten finanziellen Prozess?

Die Strukturfonds hatten einen großen Einfluss auf Estlands Entwicklung. Der Hauptschwerpunkt war die Förderung des Wachstums unserer Wirtschaft durch die Ermutigung zu Exporten und Innovation sowie die Modernisierung unserer grundlegenden Infrastruktur in verschiedenen Bereichen. Die EU-Mittel haben zu einer Verdoppelung der Anzahl der Exportunternehmen sowie des Exportumsatzes geführt.

Die Auswirkungen der EU-Mittel sind jedoch nicht auf Statistiken und Konjunkturzahlen begrenzt. Sie sind im Alltag greifbar und im ganzen Land sichtbar. Die Straße, auf der Sie fahren, die Eisenbahn, die Sie benutzen, Ihr Zugang zu sauberem Trinkwasser, das Internet, das in Ihr Haus kommt, die elektronischen Dienste, mit denen Sie mit nur wenigen Klicks anstelle von Stunden mit dem Staat in Verbindung treten können – EU-Investitionen haben Estland zu einem besseren Ort sowohl für Unternehmen als auch Menschen gemacht.

Wir haben einen deutlichen Schwerpunkt auf unsere digitale Agenda gelegt und durch die Unterstützung des Ausbaus von Infrastruktur, Netzwerken und Anwendungen für Onlinedienste haben die EU-Mittel dazu beigetragen, Estland in eine der modernsten elektronischen Gesellschaften der Welt zu verwandeln. Das Ergebnis ist, dass 77 % der Esten das Internet benutzen und die Bürger routinemäßig elektronische Dienste in den Bereichen Wahlen, Steuern, Polizei, Gesundheitswesen, Bankgeschäfte und Schule nutzen.

Wir wissen auch, dass wir neben der Infrastruktur und den Unternehmen auch in unsere Menschen investieren müssen, und die EU-Fonds spielen weiterhin eine wesentliche Rolle bei unseren Arbeitsmarkt-, Bildungs- und sozialen Reformen. Zum Beispiel haben wir 90 % der berufsbildenden Schulen modernisiert, um den Ansprüchen der heutigen Wirtschaft gerecht zu werden.

Die Wirtschafts- und Finanzkrise hat Estland hart getroffen, aber die Tatsache, dass EU-Mittel zur Verfügung standen und Unterstützungsprogramme rasch neu gestaltet werden konnten, half der Wirtschaft, sich anzupassen und zu erholen.

▶ Was sind die wichtigsten Lektionen, die Sie gelernt haben? Wie haben diese sich auf die Programmplanung für den Zeitraum 2014-2020 ausgewirkt?

Ausgehend von unserer Erfahrung waren wir uns über zwei Hauptschwerpunkte für 2014-2020 einig: über die einmalige Hebelwirkung der ESI-Fonds und den Fokus auf das Erreichen der Ergebnisse. Das Ziel kann nicht allein lauten, Geld auszugeben und eine niedrige Fehlerquote zu erreichen. Der Einsatz der Fonds sollte eine strukturelle Umstellung in der Entwicklung, eine höhere Effizienz, Wirksamkeit oder Qualität in einem Bereich, einer Branche oder einem Industriezweig bringen oder positive langfristige Auswirkungen haben (z. B. Anstoß und Umsetzung von Strukturreformen und wichtigen Projekten).

Wir freuen uns, dass die Kohäsionspolitik nun eng mit Europa 2020, länderspezifischen Empfehlungen und einem verantwortungsbewussten finanzpolitischen Verhalten der Mitgliedstaaten verbunden ist.

▶ Wie sieht die Investitionsstrategie für den EFRE, Kohäsionsfonds und ESF für 2014-2020 aus? Welche Ergebnisse erwarten Sie?

Wir glauben fest daran, dass alle EU- und nationalen Mittel gemeinsam auf integrierte Art und Weise geplant werden müssen, um EU- und nationale Ziele zu erreichen.

Der strategische Schwerpunkt trägt zu den Zielen von Europa 2020 und ihrem nationalen Gegenstück, „Estland 2020“, bei. In der Programmplanungsphase widmete Estland der Analyse seiner Entwicklungsbedürfnisse für die nächsten 7 bis 10 Jahre besondere Aufmerksamkeit, und zwar nicht nur in Bereichen, die durch die EU förderfähig sind, sondern im Land als Ganzes, da die Unterstützung durch die EU nicht etwas Eigenständiges, sondern neben nationalen öffentlichen Mitteln eine wichtige Finanzierungsquelle ist. Darüber hinaus haben wir die Möglichkeit genutzt, nur ein anstelle der vormals drei operationellen Programme einzurichten, um die Koordination zwischen den nationalen Behörden und den verschiedenen Fonds zu verbessern und somit eine integrierte und effiziente Nutzung der EU-Mittel sicherzustellen.

Motor unseres Ansatzes ist in großem Maße die Erwartung, dass Investitionen aus der Kohäsionspolitik unsere Wettbewerbsfähigkeit verbessern und zur wirtschaftlichen Entwicklung beitragen müssen.

Ungefähr ein Drittel der Mittel wird im Bereich der wissensintensiven und international wettbewerbsfähigen Wirtschaft genutzt werden. Wir schaffen Chancen für Unternehmer und F&E-Einrichtungen, um neue und innovative Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln, neue Exportmärkte aufzubauen und darauf zuzugreifen. Die Produktivität unserer KMU sollte um ungefähr 40 % zunehmen und die Anzahl der Exportunternehmen um 25 % wachsen.

Ein Drittel wird in Bildung, Beschäftigung und soziale Integration investiert werden. Hauptziel wird es sein, sicherzustellen, dass die Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter besser qualifiziert ist und ihre Wettbewerbsfähigkeit auf dem Arbeitsmarkt erhöht wird.

Das letzte Drittel wird in die Basisinfrastruktur fließen: Multimodalität im Verkehr, IKT-Verbindungen und Energieeffizienz.

▶ Estland hat im Zeitraum 2007-2013 Finanzinstrumente in den Bereichen Unterstützung für Unternehmen und Energieeffizienz im Wohnungsbau genutzt. Darüber hinaus plant Estland, den Anteil der Finanzinstrumente zu erhöhen und ihre Anwendungsbereiche auszuweiten. Welche Vorteile hat die Nutzung von Finanzinstrumenten in der Kohäsionspolitik Ihrer Erfahrung nach?

Da die öffentlichen Haushalte zunehmend unter finanziellen Druck geraten, betrachtet Estland Finanzinstrumente als wichtige Möglichkeit, den Druck zu reduzieren und die langfristige Nachhaltigkeit bei der Unterstützung verschiedener Politikbereiche sicherzustellen. Wir möchten die Entwicklung erleichtern, nicht die Abhängigkeit von Beihilfen fördern. Finanzhilfen sind nicht immer der nachhaltigste Weg, die Wettbewerbsfähigkeit der Empfänger oder des Staates im Allgemeinen zu steigern.

Estland hat die höchste Anzahl an Unternehmensneugründungen pro Kopf in Europa – dies ist ein Beweis dafür, wie einfach es ist, in Estland ein Unternehmen zu gründen. Damit sie in Estland weiterhin expandieren, hat es sich als hilfreich erwiesen, mit anderen baltischen Ländern den Baltischen Innovationsfonds einzurichten und Ressourcen zu investieren, die aus EU-Finanzinstrumenten zurückgezahlt werden. Dies zeigt, dass die Verwendung von Finanzinstrumenten einen echten Multiplikatoreffekt haben und sich wiederum auf die Wirtschaft auswirken kann.

Wir gehen davon aus, dass sich die Investitionen aus den ESI-Fonds durch Finanzinstrumente im Vergleich zu 2007-2013 mindestens verdoppeln werden; dies ist auch das auf EU-Ebene besprochene Ziel. Unternehmen werden größere Kapitalsummen bereitgestellt werden und wir haben eine neue Komponente ins Auge gefasst, um die Unterstützung zur Verbesserung der Ressourceneffizienz in Unternehmen zu verbessern. Darüber hinaus werden wir damit fortfahren, andere Bereiche zu überwachen und weitere Möglichkeiten zu erkunden, zusätzliche Finanzinstrumente während des Finanzierungszeitraums zu nutzen.

 

Quelle: Panorama Magazine Printausgabe Nr. 54
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