Der Begriff „E-Estland“ wird häufig verwendet, um den Aufstieg Estlands zu einer der fortschrittlichsten Gesellschaften des digitalen Zeitalters weltweit zu beschreiben – diese unglaubliche Erfolgsgeschichte ist das Ergebnis einer guten Partnerschaft zwischen einer zukunftsorientierten Regierung, einem tatkräftigen Sektor der Informations- und Kommunikationstechnologie und einer computerfreudigen und technisch versierten Bevölkerung. Diesem Erfolg ist es zu verdanken, dass sich die Esten und der estnische Staat eines breitgefächerten Spektrums von IT-Möglichkeiten erfreuen, wovon die Menschen in anderen Ländern nur träumen können.
Für die Bürger Estlands sind die webbasierten elektronischen Dienstleistungen wie etwa E-Wahlen, E-Steuern, E-Polizei, E-Gesundheit, E-Banking und E-Schule zur Routine geworden. Das Präfix „E“ für Online-Services ist heutzutage allgemein gebräuchlich geworden. Die meisten Esten würden es gar nicht in Betracht ziehen, Angelegenheiten, die leicht online im Netz durchgeführt werden können, auf altmodische Art und Weise wie zum Beispiel durch einen Behördengang zu erledigen. Dank dem elektronischen Staat haben die Menschen mehr Freiheit, mehr Zeit, die sie im Wald, auf dem Lande, in den unzähligen Mooren des Landes oder eben in der bekannten Altstadt Tallinns verbringen können. Heute kann nahezu jede Angelegenheit mit ein paar Mausklicks über das Internet abgewickelt werden.
Elektronische ID-Karte
Nach dem Stand vom Januar 2011 besitzen über 1,1 Millionen Einwohner Estlands (fast 90 % der Bevölkerung) eine Identifikations-Karte (ID-Karte). Die estnische ID-Karte dient als Personalausweis, innerhalb der Europäischen Union auch als offizielles Reisedokument und bei der Nutzung der digitalen Dienstleistungen zur Personenidentifizierung. Mit anderen Worten: Die ID-Karte ist der Schlüssel zu fast allen innovativen Online-Diensten in Estland. In der ID-Karte befindet sich ein Chip, der nicht nur die wichtigsten Informationen über seinen Besitzer speichert, sondern auch über zwei Berechtigungszertifikate verfügt, wobei das eine der Feststellung der elektronischen Identität dient und das andere mit der Funktion der rechtsgültigen digitalen Signatur ausgestattet ist. Dank ihrer Sicherheit kann die ID-Karte im Netz überall dort eingesetzt werden, wo die Identitätsüberprüfung unerlässlich ist. Mit der ID-Karte kann man im Netz Bankgeschäfte tätigen, an den Online-Wahlen teilnehmen, Fahrscheine kaufen und vieles mehr. Die ID-Karte ist noch sicherer geworden, seit persönliche PIN-Nummern für die Nutzung der Karte erforderlich sind.
Neben der ID-Karte kann auch das Mobiltelefon verwendet werden, um sich für Internet-Dienste zu identifizieren. Das ist noch angenehmer, da ein ID-Karten-Lesegerät wie am Computer nicht benötigt wird. Ein Mobiltelefon kann zugleich als Karte und als Kartenlesegerät benutzt werden.
Online-Services für Bürger
E-Wahlen
Seit 2005 hat jeder Einwohner Estlands die Möglichkeit, seine Stimme über das Internet abzugeben. Mittels seiner ID-Chipkarte per Computer oder mittels Mobilfunk-ID per SMS kann der Wähler von zu Hause aus oder gar während einer Auslandsreise abstimmen. Das elektronische Wahlverfahren, das einige Tage vor der „klassischen“ Papierwahl durchgeführt wird, ist wohl der bequemste Weg, die Stimme abzugeben. Bei der Abgabe der elektronischen Stimme identifiziert sich der Wähler mittels der ID-Karte und PIN-Nummer, damit aber der Wahlvorgang anonym erfolgt, wird unmittelbar nach der elektronischen Stimmabgabe die Stimme von der digitalen Signatur getrennt. Im Jahr 2011 gaben 140 846 Wähler bei den Parlamentswahlen ihre Stimme per Internet ab, das macht 24,3 % der Wähler aus. Die Anzahl der Online-Stimmen und die Wahlbeteiligung bei den letzten Wahlen zeigen die positive Wirkung des elektronischen Abstimmungssystems für die allgemeine Wahlbeteiligung.
www.valimised.ee
E-Steuerbehörde
Estnische Bürger können ihre Einkommensteuererklärung online über das Internet einreichen. Die E-Steuerbehörde bietet einen bereits vorbereiteten Antrag, der ein einfaches und schnelles Ausfüllen möglich macht. Das System identifiziert Personen mit Hilfe der ID-Karte oder Mobilfunk-ID. Der Bürger muss sich nur im digitalen Steuersystem anmelden, die bereits automatisch zusammengestellten Angaben im Antrag überprüfen, ergänzen oder bei Bedarf korrigieren, und dann die Steuererklärung freigeben. Der Service ist in der Bevölkerung Estlands so beliebt geworden, dass im Jahr 2011 über 93 % der Einkommensteuererklärungen online bei der E-Steuerbehörde eingereicht wurden.
www.emta.ee
E-Business
Ein Unternehmer kann in Estland in einem vollkommen bürokratiefreien Vorgang an seinem eigenen Computer eine Firma gründen. Die Rekordzeit für die Gründung und Anmeldung eines Unternehmens im estnischen E-Business-Portal beträgt gerade mal 18 Minuten. Bei einer Firmengründung über das Internet ist eine estnische ID-Karte erforderlich, wobei das System aber auch ID-Karten aus Belgien, Portugal, Litauen und Finnland akzeptiert. Derzeit wird darauf hingearbeitet, einer wachsenden Anzahl von Firmengründern aus anderen Nationen die Gelegenheit zu bieten, ihr Unternehmen via Internet zu registrieren.
https://ettevotjaportaal.rik.ee
E-Banking
Die Bürger erwarten mittlerweile, dass der E-Staat auch den privaten Sektor auffordert, papierlose Lösungen anzubieten. Eines der besten Beispiele ist das Banking. Der Ausdruck „in die Bank gehen“ ist so gut wie ganz aus der estnischen Sprache verschwunden. Ein Este „loggt sich“ in der Regel in die Bank ein. Seit nunmehr zehn Jahren ist persönliches Erscheinen in der Bank nicht mehr erforderlich. Für die meisten Menschen ist es unwichtig, wann die Bank geöffnet oder geschlossen wird und wo sie sich befindet, denn die Internet-Bank hat 24 Stunden am Tag geöffnet. Gegenwärtig werden 98 % der Bankgeschäfte über das Internet abgewickelt. Das Onlinebanking ist sicher, da die Identität mittels einer ID-Karte oder Mobilfunk-ID überprüft wird. Beide Möglichkeiten sind um ein Vielfaches sicherer, als das beliebte Passwort-Kartensystem, das in Estland noch parallel verwendet wird.
E-Ticket
Heutzutage kaufen nur Touristen Papiertickets für die öffentlichen Verkehrsmittel in der estnischen Hauptstadt. Die Einheimischen erwerben ihre Fahrscheine über das Internet, ihre virtuellen Tickets sind in ihrer persönlichen ID-Karte gespeichert und können anhand eines Kartenlesers beim Schaffner überprüft werden. Die Papiertickets sollen endgültig in den Mülleimer der Geschichte geworfen werden.
Online-Services im Gesundheitswesen
Digitales Rezept
Zum 1. Januar 2010 wurde im Gesundheitswesen Estlands ein IT-Programm – das digitale System zur Arzneimittelverschreibung – eingeführt. Früher haben die Patienten vom Arzt Rezepte auf Papier bekommen und sind damit in eine Apotheke gegangen. Dieses System wies mehrere Schwachstellen auf: Es war leicht, das Rezept zu verlieren, die Handschrift des Arztes konnte unleserlich sein usw. Bei einem elektronischen Rezept gibt es diese Probleme nicht, denn alle Rezepte des Arztes werden digital von einer zentralen Datenbank erfasst. Wenn dann der Patient in die Apotheke geht, ruft der Apotheker das auf einem Zentralrechner hinterlegte Rezept ab, und es ist nicht möglich, dass der Patient das Rezept verliert oder die Handschrift des Arztes unleserlich ist.
www.digilugu.ee
Elektronische Patientenakte
Seit Januar 2010 nutzt Estland das medizinische Informationssystem, mit dem die Menschen ihre eigene digitale Krankengeschichte einsehen können. Das System erfasst Informationen über Diagnosen, Arztbesuche, Untersuchungen, Behandlungen im Krankenhaus, die vom Arzt verschriebenen Medikamente usw. Eine Person erhält Zugang zu ihren Daten über das Patientenportal, indem man die Identität durch die Verwendung einer ID-Karte bestätigt.
www.etervis.ee
Online-Services im Bildungswesen
E-Schule
Seit 2003 können alle Schulen das webbasierte Kommunikationsportal für Schule und Zuhause „E-Schule“ benutzen. Das Angebot hat zum Ziel, die Eltern aktiver mit in den Lehrprozess einzubeziehen, die Lehrinformationen für Kinder und Eltern zugänglicher zu machen und die Arbeit der Lehrer und der Schulleitung zu erleichtern. So können zum Beispiel anhand der E-Schule die Noten und Fehlstunden der Schüler, die Stundeninhalte und Hausaufgaben fortlaufend eingesehen werden sowie die Beurteilung der Schüler durch ihre Lehrer am Ende einer Lehrperiode.
Hochschulen via Internet
Alle estnischen Schulabgänger der Oberschulen müssen staatliche Prüfungen ablegen. Die Prüfungsergebnisse werden direkt ins elektronische Informationssystem eingetragen und jeder Abiturient kann sie im Staatsportal www.eesti.ee abrufen oder die Ergebnisse seiner Abiturprüfung per SMS über Mobilfunk empfangen. Nach dem Abschluss können sich estnische Jugendliche online im staatlichen Informationssystem um einen Studienplatz an einer Hochschule bewerben. Das Informationssystem verbindet die Hochschul-Datenbanken und Prüfungsergebnisse der Schulabgänger, und dadurch wird der Informationsaustausch zwischen dem Bewerber und der Universität wesentlich vereinfacht.
Zahlung per Mobiltelefon
Bei der Nutzung von Online-Diensten bedarf es nicht immer eines Computers. Mit dem Mobiltelefon kann auch die Parkgebühr gezahlt werden (M-Parken), indem man eine bestimmte Nummer anruft oder eine SMS sendet. Um den Parkplatzwächter über die durchgeführte Mobilfunk-Zahlung zu informieren, wird ein entsprechender Aufkleber an die Windschutzscheibe oder an die rechte Fensterscheibe des Fahrzeugs geklebt. Die M-Services über Mobilfunk ermöglichen es auch, einen Fahrschein für die öffentlichen Verkehrsmittel ohne Bargeld zu erwerben. Ebenfalls ist es möglich, mit dem Handy Theaterkarten zu kaufen und im Supermarkt zu zahlen. Die in Estland entwickelten Mobilfunk-Dienste wurden bereits erfolgreich auch in anderen Ländern angewandt.
E-Governance-Academy
Die E-Governance-Academy ist ein gemeinnütziges Zentrum für die Entwicklung und Analyse der Informationsgesellschaft, das darauf abzielt, die Erfahrungen Estlands als elektronischer Staat in den Bereichen E-Regierung, E-Demokratie und Bildung auf dem Gebiet der Informationstechnologie weiterzugeben. An der E-Governance-Academy sind bis heute über 700 Personen aus 36 verschiedenen Nationen geschult worden, darunter Teilnehmer aus Kanada, Japan, Georgien, Indien, Namibia und Pakistan. Die Erfahrungen und das Wissen Estlands haben dazu beigetragen, die Wahlprozesse vieler Länder transparenter, demokratischer und bürokratiearmer zu gestalten.
www.ega.ee
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